Existiert Gott?

Unter diesem Titel erschien 1978 das Mammutwerk (über 800 Seiten) des Tübinger Theologen und Vatikankritikers Hans Küng, mit dem Untertitel „Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit“. Auf die Gottes-Frage gibt er Antworten, aber keine Antwort auf die Hauptfrage nach der Existenz Gottes. Hans Küng könnte gleich zu Beginn den Leser entlasten, indem er gesagt hätte: Die Frage „existiert Gott?“ ist so falsch gestellt, daß es keine befriedigende Antwort darauf geben kann.

Dieser Satz besteht nur aus zwei ungeklärten Begriffen. Der  arabische Wissenschaftler Ibn Khaldoun (1332-1406) verlangte eine Definition der Begriffe vor jedem Dialog. In seinem Sinne gehen wir vor:

Was bedeutet „Gott“? Ist Gott: Naturgesetze, eine hohe Gewalt, „unbewegter Beweger“ (Aristoteles), ein absolutes unerreichbares und unbegreifbares Wesen, eine Macht, welche die Welt erschuf (Urknall), und sich dann zurück zog, die immer währende Bewegung in der Materie? Ein Wesen, das unsere Gebete hört, Propheten schickt, ein jüngstes Gericht errichtet und die Bösen betraft? Ist er Gott des Mose, der keinen Namen annimmt („ich bin der, der ist.“),  Gott des Christentums, der sich den Menschen in Gestalt des Sohnes offenbart, oder Gott der Muslime, der sich vehement weigert, einen „Sohn“ gehabt zu haben?

Die Liste läßt sich fortsetzen, wenn wir auch Gott der Naturreligionen hinzuziehen; eine Reise nach Indien und Japan mit „persönlichen Familiengöttern“ unternehmen und uns dem altpersischen Propheten Zaratustra widmen, der das Weltgeschehen als Kampf zwischen dem guten Gott (Ahuramazda) und dem Bösen (Ahriman) sieht.

Was ist Existenz? Die Philosophie ist seit über 2.000 Jahren mit dieser Frage befaßt. Was sind Existenz, Sein, Dasein, in-der-Welt-Sein, an und für sich Sein, der Seiende u.a. Der klassische Beweis der Existenz von Dingen war die sinnliche Wahrnehmung. Heute speichern wir Tausende Seiten von Texten, Filmen und Musiktiteln auf einer Festplatte, die sich gar nicht von einer leeren unterscheidet. Sind diese Informationen existent, oder bekommen sie erst „Existenz“ durch den Computer? Wenn alles ein Gegenteil hat (Licht-Dunkelheit; Gutes-Böses; Mann-Frau u.a.), dann fragt sich, was das Gegenteil vom Sein ist? Nichts? Was ist es? Ist Nichts gleich wie die Abwesenheit? Wenn es so ist, dann ist doch die Abwesenheit von Krieg, Krankheit und Unglück etwas Positives. Wenn eine Familie nach einem Urlaub nach Hause kommt, beobachtet sie ob sich etwas im Haus verändert hat. Ist nichts gesehenen, nichtsbewegt und keine Schublade geöffnet worden, dann empfindet man Freude und Erleichterung. Es ist die Freude an Nichts. Wenn wir uns mit einem Freund in einem Cafe verabreden, und sehen ihn zum Zeitpunkt des Treffens nicht, dann ist das einzige was für uns IST, ist das Nichtsein des Freundes. Das Sein von  anderen Personen wird für uns aber uninteressant, zu Nichts. (frei nach Jean Paul Sartre).  Das Nichts hat also auch einen  Stellenwert; und warum soll überhaupt das Sein wichtiger sein als das Nichts? Ist das Sein, das was wir „erfahren“? Wenn es so ist, dann ist der Tod kein Lebensereignis, denn den Tod „er-lebt“ man nicht (nach Ludwig Wittgenstein).

Existiert Gott wie die Sonne, die uns Wärme und Leben schenkt? Ist es die allumfassende transzentenale Existenz eines Seins? Ist seine Existenz gleich wie das Dasein von Informationen auf einer Festplatte? Ist die Welt ein Computer und Gott der Prozessor?

Fragen über Fragen, aber keine allgemein akzeptable Antwort in Sicht.

Gott unserer Kindheit ist tot!

Wenn wir die abrahamitischen Religionen nehmen, so findet man angefangen mit der „Schöpfungsgeschichte“ des Alten Testaments bis zum Koran (von Nuancen abgesehen) durchgehend ein gemeinsames Bild des Menschen von Gott und Universum: Die Schöpfung des Menschen und der Welt geschehen gleichzeitig; eine Evolution fand nicht statt. Die Erde ist wie ein Teller, worauf die Kuppel des Himmels aufgebaut ist. Sterne sind wie Leuchten in diese Kuppel gehämmert; die Sonne dreht sich um uns; der Mond ist für die Zählung der Monate geschaffen; und schließlich haben Naturereignisse (Sonne– und Mondfinsternis) ihre Ursachen in unseren Taten; und Naturkatastrophen sind Antworten Gottes auf unsere Sünden. Diese Vorstellung deckte sich Jahrtausende lang mit dem Stand der wissenschaftlichen Vorstellung vor der Natur. Kein Es wundert nicht, denn das religiöse Weltbild (Schöpfung) war ja gerade aus „wissenschaftlichen“ Vorstellung der damaligen Menschen von der Natur resultiert. Die Frage nach der Existenz Gottes stellte sich nur in engen Kreisen und nicht auf breiter Basis. Es ging nicht darum, ob es einen Gott gibt. Die Frage war, welcher Gott der richtige ist.  Auch die monotheistischen Religionen wollten nicht Gott beweisen, sondern falsche Götter verneinen. Es herrscht seit fast 5.000 Jahren bei diesen Religionen der Satz: „Ich bin der einzige Gott, und Du sollst keine Götter neben mir anbeten.“

Die Schöpfungsgeschichte bringt  die Übereinstimmung dieser beiden Sichtweisen von der Welt (Natur /   Schöpfung) auf den Punkt. So gibt es im Judentum, Christentum und Islam keinen einzigen Hinweis auf Lebewesen vor der Entstehung des Menschen. Die Geschichte des heutigen Menschen (Homo sapiens) ist wohl  ca. 200.000 Jahre alt. Die Dinosaurier bevölkerten vor 235 Millionen Jahren die Erde und wurden vor ca. 25 Millionen Jahren ausgerottet. Doch findet man über dieses dramatische Ereignis in den Heiligen Schriften kein einziges Wort. Gott tritt erstmals mit der Schöpfung des Menschen auf die universale Bühne, was er vorher getan hat, ist folgerichtig irrelevant. Nach dieser Logik gehören Dinosaurier zur Natur, aber nicht zur göttlichen Schöpfung.

Daß der Mensch in dieser Weise von einem Gott geschaffen wurde, ist selbst im Vergleich zur Menschheitsgeschichte jüngeren Datums. Wenn wir die Geschichte der Menschheit (200.000 Jahre) und die Geschichte des Monotheismus (ca. 5.000 Jahre) bedenken und die Menschheit als einen 100jährigen Menschen betrachten, dann begann er im Alter von etwa 98 Jahren an einen einzigen Gott zu glauben. Gott hat in der langen Geschichte der Natur keine Tradition.

Trennung zwischen „Natur“ und „Schöpfung“

Die Übereinstimmung zwischen der Welt als Natur und als Schöpfung wurde vor etwa 400 Jahren radikal und auf breiter Basis zur Diskussion gestellt.

Entgegen der herkömmlichen Auffassung war es nicht Darwin (1809-1882), der mit seiner Evolutionstheorie die Gültigkeit der Schöpfungsgeschichte als Grundstein des religiösen Denkens in Frage stellte. Vielmehr wurde erst der Himmel als Wohnstätte Gottes angegriffen. Kopernikus (1473-1541)und später Galilei (1564-1642) brachten das bis dahin herrschende Weltbild durcheinander, in dem sie zeigten, daß die Erde nicht das Zentrum des Universums ist, sondern sich gleichberechtigt mit anderen teilweise größeren Planeten um die Sonne dreht. Bis dahin gab es eine untrennbare Übereinstimmung zwischen dem Ptolemäischen und kirchlichen Weltbild. Nach wissenschaftlichen Forschungen von Ptolemäus steht die Erde fest im Mittelpunkt des Weltalls. Das Universum ist wie eine Zwiebel in Schichten (Himmeln) geschaffen. Alle anderen Himmelskörper (Mond, Sonne, Planeten, Sterne) bewegen sich  um die Erde. Die Kirche sah bis dahin das Himmelsreich als ihr unbestreitbares Privateigentum. Bis dahin war die Erde die Hauptstadt des Universums und Vatikan das Zentrum der Erde!

Zugleich feierte der Rationalismus seinen Siegeszug über unerklärbare dämonische Kräfte. Der Vater dieser Entwicklung ist zweifellos Rene Descartes (1596-1650. Descartes arbeitete mit dem „methodischen Zweifel“. Es ist nur eine Methode der Wahrheitsfindung.  Er meinte, man kann an allem zweifeln, und dann ausgehend von einem zweifelsfreien Prinzip mit Instrumenten des logischen Denkens die Dinge erklären. „Ich zweifele; wenn ich zweifele dann denke ich; wenn ich denke, dann bin ich.“ (frei nach Descartes) Hier beginnt die große Spaltung zwischen religiösem und wissenschaftlichem Weltbild.  Es war der größte Fehler der offiziellen Kirchen diese Trennung nicht zu akzeptieren. Kopernikus, Galilei und Descartes waren alle gottgläubige Christen. Sie verstanden ihre Wissenschaft nicht als eine antichristliche Ideologie. Galilei war sogar bemüht, nachzuweisen, daß seine Vorstellungen mit der Bibel übereinstimmten. Es war die politische Machtsucht der Kirche, die diese Emanzipation als pure Konfrontation deutete. Unter dieser Fehleinschätzung leidet die Menschheit bis heute. Der Inquisitionsprozeß gegen Galilei und die Bekämpfung der Wissenschaft vertiefte diese Konfrontation und trennte für immer die Wege. Glaube und Vernunft, die sich ergänzen sollten („Glaube kann Berge versetzen, ohne Vernunft setzt man sie aber an falsche Stelle.“), wurden zu Rivalen. Die Religion, unterlegen in ihren Weltbilddeutungen überließ der entfesselten Naturwissenschaft das Feld. Zusammen mit Aberglaube und religiöser Blindheit wurden auch positive Glaubenselemente (Spiritualität, Transzendenz, sinnspendende menschliche Hoffnungsträger) zur Bedeutungslosigkeit verdammt und in den Schatten der technologisch-industrielle Wachstumsideologie gestellt.

Aufklärung: Gott ist für Menschen und nicht umgekehrt.

Nach Descartes und Galilei leiteten Immanuel Kant (Begründer der modernen Philosophie) und Isaac Newton (Vater der klassischen Physik) im 18. Jahrhundert eine zweite große Entwicklung ein: Newton entwickelte die Gesetze der Mechanik und Bewegung, die noch bis heute in der Makrophysik gültig sind. Seit Newton kann mit Gewißheit behauptet werde, daß die Welt sich nach berechenbaren Gesetzen bewegt, auch wenn diese noch lange nicht entdeckt sind und nicht völlig entdeckt werden können.

Kant wandte diese Gesetzmäßigkeit auf „Vernunft“ an. Auch das vernünftige Denken folgt gewissen strengen von Religion unabhängigen Gesetzen: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“

Aber während Descartes noch versucht hatte, die Existenz Gottes rational zu begründen (Gott als vollkommenstes Wesen), verwarf der kritisch denkende Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ alle Gottesbeweise. Der Mensch könne mit Gesetzen der reinen Vernunft (Theorie, „was ist“) nur das beweisen, was er auch wahrnehmen kann. Gott ist eine Angelegenheit der „praktischen Vernunft“ (Ethik, „was sein soll“): es ist vernünftig und besser an Gott als Regulator des ethischen Verhaltens zu glauben. 

Während Galilei die Erde als Weltzentrum beiseite schiebt, macht Kant den vernünftigen und aufgeklärten Menschen zum Zentrum der Welterfahrung. Während Descartes meint, die Existenz Gottes ist beweisbar, sagt Kant: Gott ist nicht beweisbar, aber er Glaube an seine Existenz kann Menschen dienen.

Im 20. Jahrhundert rückte (insbesondere nach der menschenverachtenden Politik des Faschismus und Stalinismus) mehr und mehr der MENSCH in das Zentrum aller theologischen Überlegungen. Damit bewegen wir uns zurück zu den Quellen des religiösen Glaubens. Religion (Marx bezeichnete sie zurecht als „Seufzer der bedrängten Kreatur“) wurde mehr als Instrument gegen Angst, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit von Menschen verstanden, Große Ideologien (Kommunismus, Faschismus, westlicher Modernismus) konnten dem Einzelnen kein Gefühl von Geborgenheit geben. Die Suche nach dem „Heiligen“, „Absoluten“, „Vollkommenden“ ist den Menschen seit seiner Entstehung in die Wiege gelegt. Dieses Bedürfnis ist weder mit den Gesetzen des rationalen Denkens (Descartes), noch mit dem Hinweis auf gesellschaftlich-moralische Notwendigkeit (Kant) „beweisbar“. Es ist einfach da und ist serienmäßig in menschliche Seele eingebaut, ob wir es wollen, oder nicht!  So wie Drüsen, die nützliche Sekrete in den Körper ausscheiden, produziert unsere Seele einen Drang nach oben, nach Transzendenz, höheren Werte, Vorstellungen, Phantasien und Träumen. Diese gehören zu ästhetischen Bedürfnissen der Menschen. Ohne sie gäbe es keine Dichtung, Märchen, Musik, Malerei und Kunst. Kommt je ein Wissenschaftler auf die Idee die Existenz von „Schönheit“, „Sanftmutigkeit“, „Gnade und Brüderlichkeit“ in der Natur  zu beweisen?

Die Gottesfrage als Teil der menschlichen Existenz bringt uns in seltsamer Weise in die Nähe der Physik. Diese Disziplin beschäftigt sich mit den Gesetzen der Bewegung. Wir können nach Descartes an allen Dingen zweifeln, aber nicht daran, daß auch der Zweifel eine Art Bewegung ist von Gewißheit zur Ungewißheit. Solange es Bewegung gibt, gibt es auch Existenz. Die Bewegung durchläuft die kleinsten Teilchen bis zu größten Planeten.

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