Die Geschichte Abrahams von dem Opfer seines Sohnes wird in allen monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) zwar unterschiedlich, aber immer  allgemein als „Befehl Gottes“ zur „Prüfung seines Gehorsams“ gedeutet. Trotz aller Versuche, diese Geschichte positiv als „Beispiel für die uneingeschränkte Gottesliebe“ dieses Urvaters  zu deuten, bleibt der bitterer Beigeschmack einer unverständlichen religiös motivierten Gewaltbereitschaft, die  zwar untertänige „Gottesliebe“ zum Ausdruck bringt, aber mit Menschenliebe nicht vereinbar ist. Die  Rechtfertigungsversuche zeigen exemplarisch die an  Heuchelei grenzende Wendigkeit der Theologen, die sich aus allen ähnlichen unbequemen Situationen zu retten versuchen, und schließlich die unsittliche “versuchte Ermordung” eines Menschen mit noch fragwürdigeren Erklärungen untermauern.  Schließlich werden nach dieser Lesart auch Naturkatastrophen mit tausenden Opfern mit Gerechtigkeit Gottes in Einklang gebracht, und alles als eine Prüfung der Menschheit dargestellt.

Die Bibel erzählt die Geschichte sehr detailliert und lässt keinen Zweifel daran, dass Gott Abraham ausdrücklich zu dieser Gewalttat auffordert. (Gen, 22: 1-19) „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija, und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar.“ (Gen, 22: 2) Mit diesem Befehl soll Gott Abrahams Glaubensgehorsam auf die Äußerste Probe gestellt haben. Das Problem ist hier nicht die Prüfung eines Menschen, sondern der Gegenstand dieser Prüfung (Ermordung eines Menschen). Dass Gott die Standhaftigkeit der Menschen durch Nöte und Gefahren (Hunger, Armut, Krankheit, und Tod) prüft, ist bekannt und akzeptabel. An vielen Stellen der Bibel und des Koran werden wir mit solchen Aussagen konfrontiert. Eine solche göttliche Prüfung machte Ijob durch und bestand sie. Er wurde aber nicht damit geprüft, Gewalt anzuwenden, sondern verlor Hab und Gut und sogar seine Kinder, ohne Gott zu fluchen, wie Satan von ihm verlangt hatte. (Ijob 1,1–21) Was also stört und nicht zu rechtfertigen ist, ist der Umstand, dass Abrahams Gewaltanwendung gegen einen unschuldigen Menschen Gegenstand der Probe wird. Ein unbeteiligter Mensch muss sterben, damit er durch eine Prüfung geht, oder auch nicht!

Ein neuer Deutungsversuch: Wer hatte von Abraham Opfer verlangt?

Auch unter den Muslimen und  islamischen Gelehrten und Koranexegeten wird diese Geschichte als „göttliche Prüfung“ wiedergegeben, obwohl diese Geschichte im Koran in einer anderen Weise erzählt wird.  Eine genauere Betrachtung der koranischen Variante gibt aber  genug Raum für eine alternative Interpretationen, die vom  Schema „Befehl und Gehorsam“  abweicht. Der Koran erwähnt diese Geschichte sehr knapp mit einem anderen Tathergang. Im Gegensatz zu anderen koranischen Geschichten wird auf einen genauen Ablauf verzichtet. Die Sache mit Abraham und seinem (namentlich nicht bekannten) Sohn wird gestreift, aber nicht “erzählt”. Dies zeigt, dass der Koran die “unangenehme” biblische Geschichte mit der fragwürdigen Opferung eines Menschen auf “Gottesbefehl” nicht wiederholen will, und auch so nicht akzeptiert.

[Abraham sagte:] „Gewiss, ich bin auf dem Weg zu meinem Herrn; Er wird mich rechtleiten.“ Mein Herr, schenke mir einen von den Rechtschaffenen. Da verkündeten Wir ihm einen nachsichtigen Jungen.  Als dieser das Alter erreichte, dass er mit ihm laufen konnte, sagte er: „O mein lieber Sohn, ich sehe im Schlaf, dass ich dich schlachte. Schau jetzt, was du (dazu) meinst.“ Er sagte: „O mein lieber Vater, tu, was dir befohlen wird. Du wirst mich, wenn Allah will, als einen der Standhaften finden.“ Als sie sich beide ergeben gezeigt hatten und er ihn auf die Seite der Stirn niedergeworfen hatte, riefen Wir ihm zu: „O Ibrāhīm, du hast das Traumgesicht bereits wahr gemacht.“ Gewiss, so vergelten Wir den Gutes Tuenden. Das ist wahrlich die deutliche Prüfung. Und Wir lösten ihn mit einem großartigen Schlachtopfer aus.“ (Koran, 37: 100-107)

 

Daraus können wir nur folgendes ableiten:

1)      Es ist nicht Gott, der Abraham explizit zu dieser Tat auffordert. Abraham hatte nur einen Traum, dass er seinen Sohn „schlachtet“. Hier ist keine Rede von einem „Opfer“. Es heißt auch nicht, dass er von Gott oder Jemanden eine Aufforderung zum Opfer erhalten hat.

2)      Bekanntlich wird Abraham in der Bibel und Koran als einen „Suchenden“ bezeichnet, der in einem allmählichen Prozess den Weg zum einzigen wahren Gott findet, und sich von „Götzen“ und „falschen“ Göttern befreit. Im Koran wird seine ursprüngliche Hinwendung zu Sternen, Mond und Sonne erzählt und gezeigt, wie er sich von vergehenden Objekten verabschiedet und sich schließlich dem ewigen und einzigen Schöpfergott zuwendet. Dies unterscheidet ihn von allen biblischen und koranischen Gesandten. Ganz zu Beginn heißt es auch im Koran: Gewiss, ich bin auf dem Weg zu meinem Herrn; Er wird mich rechtleiten.“ Dies ist der entscheidende Satz, der dem Geschehen die endgültige Richtung gibt.  Abraham findet in der Zeitspanne zwischen dem Traum und Opferung die Rechtleitung. Was spricht also dafür, dass er in diesem Traum schon rechtgeleitet war? Er hatte nur einen Traum, dem er in seiner noch vorherrschenden Unwissenheit nachgehen wollte; weil er es vielleicht für einen Befehl der falschen Götter hielt? Er spricht auch ganz neutral nur von einer Handlung (Tötung) im Traum, und  es bleibt im Dunkeln, in welchem Rahmen sich diese Handlung vollzieht, und welche Akteure (“falsche Götter”?) noch daran beteiligt sind.

3)      Im Gegensatz zu der biblischen Geschichte wird der Sohn klar und deutlich über die Absicht des Vaters informiert. Dagegen wird Isaak in der biblischen Geschichte im  Unklaren gelassen.

4)      Auch in der Antwort des Sohnes kommt Gott nicht vor. Er sagt nicht, töte mich, wie Gott dir befohlen hat. Was hier stark zum Ausdruck kommt, ist die absolute Gehorsamkeit eines Kindes gegenüber dem Vater, in einem Zeitalter, wo Kinder und Frauen Eigentumsobjekte der Männer waren. Wenn auch hier etwas geprüft wird, ist es die absolute Willenlosigkeit eines Kindes. Die Zustimmung des Sohnes zeigt, dass auch er noch nicht an einen einzigen wahren Gott glaubt. Wäre der Sohn ein rechtgeleiteter Gläubiger, und ein Monotheist,  für den Gott wichtiger und mächtiger ist als der Vater, hätte er doch fragen können, warum Gott so etwas verlangt habe.

5)      Der wahre Gott kommt zum ersten Mal in dieser Geschichte als Retter des Sohnes vor und verhindert diese grausame Tat: „Das ist wahrlich die deutliche Prüfung“ bedeutet nicht, dass dieser Gott ihn prüfen wollte. Abraham wurde so geprüft, dass er seine Gehorsamkeit falschen Göttern gegenüber gezeigt habe.

6)      Abraham symbolisiert in dieser Geschichte die Bewegung der Menschheit von einem Glauben, der Menschenopfer und Grausamkeit verlangt, zu einem Gott, der das Menschenleben als Opfer nicht akzeptiert, und auch nicht verlangt hat. Menschenopfer für Gott gehörten zu vormonotheistischen Religionen und werden in dieser Geschichte durch den direkten Eingriff des einzigen Gottes in die Geschehnisse  abgeschafft.

Hadi Resasade

 

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