Die iranische Gesellschaft befindet sich im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts  in einer Phase des Umbruchs. Die Dynastie der Ghajaren (1794-1925), Symbol der Stagnation und Ausverkauf des Landes an imperiale Mächte, war nach der konstitutionellen Revolution (August 1906) geschwächt. Das Land war bis 1917 faktisch zwischen England und Rußland geteilt. Die russischen Interessen verhinderten eine direkte Kolonialisierung Irans durch Großbritannien. Erst die Gründung der Pahlawi-Dynastie (1925-1979) brachte erneut eine zentralstaatliche moderne Macht hervor. Gründer der Dynastie war Reza Shah (iranischer Atatürk), der das Machtvakuum mit starker Hand beendete und 1941 wegen Annährung an Nazi-Deutschland von den Alliierten ins Exil geschickt  wurde.

Das staatliche Machtvakuum gab Intellektuellen, Journalisten und Literaten die einmalige Gelegenheit einer zensurfreien Arbeit. Politische Aufklärung, Drang nach Demokratie, westliche Orientierung, Religionskritik und Ablehnung der verkrusteten kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse schlagen sich in hitzige politisch-gesellschaftliche Zeitungsartikel, Theaterstücke, Prosa und Poesie nieder.

Iraj Mirza (1873-1925) ist ein Kind dieser Zeit. Der „Prinz“ (er stammte direkt von einem Ghajaren-König ab) lernte Literatur, Französisch, Russisch und Arabisch und wurde bereits mit 18 Jahren  „Hofdichter“, bevor er zur Bildungsbehörde wechselte.

Iraj Mirza beschäftigte sich auch mit der modernen europäischen Literatur und ließ sich auch von Schiller inspirieren.  Sein poetisches Stück „Zohreh und Manoutschehr“ ist eine Anlehnung an Shakespeares „Venus and Adonis“.

Iraj Mirza war ein kompromiss– und hemmungsloser Kritiker des religiösen Fanatismus und Blindgläubigkeit. In einem Gedicht spottet er sogar über das herkömmliche Gottesbild der religiösen Obrigkeit:

 

Wo ist Gott, wer ist Gott, was ist Gott?

Rede doch keinen Unsinn! Es gibt keinen Gott!

Selbst unser Prophet sagt: „wir können Gott nicht begreifen“,

Wollt ihr also päpstlicher als Papst werden?

Gott kann von deinem Verstand nicht aufnehmen werden,

Glaube mir, du bastelst nur an bloßen Phantasien herum!

 

In zahlreichen Gedichten kritisiert er rücksichtslos und mutig die Verschleierung von Frauen und die  Heuchelei der traditionellen Geistlichkeit. Die Frauen trugen damals nicht nur Schleier, sondern auch eine Gesichtsbedeckung (ähnlich wie Burka). Iraj Mirza hat keine Scheu zu polemisieren, daß viele Mullahs eine doppelbödige Moral betreiben:

 

Hab keine Angst vor mir,  wenn ich  Dich  „meine Dame“ rufe!

Habe Angst vor einem Mann, der Dich  „Schwester“ nennt!

 

زمن مترس که خانم تو را خطاب کنم    ازاو بترس که همشیره ات خطاب کند

 

Iraj Mirza kann auch als Begründer der erotischen Literatur bezeichnet werden. Er bedient sich der einfachsten Sprache der Menschen und hat keine Scheu vor „nackten und obszönen“ Wörtern der Volkssprache. Am bekanntesten ist die amüsante und erotische Geschichte einer voll verschleierten Frau, die den mühsamen Verführungskünsten eines fremden Mannes schließlich nachgibt, aber das Gesicht bedeckt hält!

Wer den Islam pauschal mit Intoleranz und Gewalt verbindet, sollte sich auch mit der Geschichte beschäftigen: Iraj Mirza wurde wegen seiner offenen Religionskritik und erotischer Dichtung weder verfolgt, noch an seiner Arbeit behindert. Nicht die Religion für sich ist gewaltsam, sondern in ihrer Vermischung mit politischer Macht.

Ein Lieblingsthema von Iraj Mirza ist die besondere Stellung der Mutter. 1924 hatte die in Berlin erscheinende iranische Exil-Zeitung „Iranshahr“ einen Literaturwettbewerb ausgeschrieben: eine kurze Geschichte wurde aus dem deutschen ins Persische übersetzt, und iranische Kandidaten sollten dieses Stück nachdichten. Das Stück behandelt die Geschichte eines Liebespaares, in der die Geliebte vom Liebhaber das Herz seiner Mutter verlangt. Die deutsche Fassung basierte auf ein Gedicht des zeitgenössischen französischen Dichters Jean Richepins („La Chanson de la Glu…,“). Iraj Mirza, der aus diesem Wettbewerb als bester Dichter hervorging, kannte  wahrscheinlich auch das französische Originalgedicht. Dieses Gedicht wurde zu einem der beliebtesten persischen Dichtungen über die Mutterliebe und ging in Schulbücher ein.

 

 

Meine Tochter reimte für Barge Sabz das „Mutterherz“

von Iraj Mirza

 

Mutterherz

Eine Geliebte sagte einst dem Verehrer:

Deine Mutter haßt mich wie die Pest

wo sie mich aus der Ferne sieht,

wirft sie böse Blicke, hält mich in Ihrem Banne fest.

 

Mit haßerfülltem Blick

schießt sie giftige Pfeile in mein Herz,

von ihrer Haustür wirft sie mich hinaus,

wie Steine aus der Schleuder, was für ein Schmerz.

 

Solang deine hartherzige Mutter lebt,

schmeckt uns der Honig im Munde wie Gift,

wir werden uns nie vereinen

Du mußt ihr Herz brechen, wenn sie Dich trifft.

 

Willst Du meine Liebe erreichen,

dann geh zu ihr ohne Angst und Bange,

schlitz ihr die Brust auf , nimm das Herz heraus,

frisch bring es mir, glücklich werd ich mit Dir lange.

 

Der Mann war ohne Verstand und Sinn,

ohne Scham und Gefühle.

Vergessen hatte er Mutters Ehre,

betrunken und berauscht war er in der Liebesmühle

 

Er ging hin, warf die Mutter zu Boden,

die Brust schlitzte er auf, das Herz nahm er heraus.

Dann lief er eilig  zur Geliebten,

das Herz in der Hand wie eine Orange, was für ein graus!

 

An der Hausschwelle stolperte er und fiel zu Boden,
kleinen Kratzer bekam sein Arm.
Das Herz, noch lebendig und frisch
fiel dem Verräter aus der Hand, war noch warm

 

Als er wieder aufstehen wollte,
um das Herz zu nehmen, was er verlor,

drang aus dem blutverströmten Herzen
die Stimme der Mutter leise hervor:

 

O! der Arm meines Sohnes ist wund,
O! mein Sohn ging über den Stein zu Grund.“

 

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