Liebe Leserinnen und Leser,

Barge Sabz hat in einem Brief an die Projektleiterin der Bonner Ausstellung „Dschingis Khan und seine Erben“ die Einseitigkeit dieser Ausstellung bemängelt, die vom 25. Oktober bis 29. Januar 2006 auch im Münchener Museum für Völkerkunde gezeigt werden soll. Wir begrüßen die Verständigung der Völker, Versöhnung und Freundschaft in einer Feindseligkeit geprägten Welt. Keiner kann für die Untaten seiner Ahnen verantwortlich gemacht werden. Dennoch gibt’s es seit einigen Jahren das gute Prinzip des „Schamgefühls“ gegenüber den Opfern von Grausamkeiten (Vatikan bedauert die Judenverfolgung im Mittelalter, und viele der heutigen Deutschen schämen sich für die Holocaust). Die Bundesrepublik hat das berechtigte Interesse an guten Beziehungen zu Mongolei, aber ein demokratisches Land kann nicht eine historische  Figur, die das Leben von Millionen von Menschen auf dem Gewissen hat,  mit einer solchen aufwändigen Ausstellung ehren.  Zumindest  wäre eine Gedenkveranstaltung im Rahmen dieser Ausstellung wünschenswert. Auch wenn es für Bonn zu spät ist, kann dies in München in die Planung einbezogen werden. Unterstützen auch Sie unsere Aktion:

Adressen:

Frau Henriette Pleiger (Projektleiterin, Bonn)

pleiger@kah-bonn.de

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Staatliches Museum für Völkerkunde München
Maximilianstraße 42    D-80538 München

Claudius.mueller@extern-Irz.muenchen.de

(Projektplanung in München)

„Dschingis Khan und seine Erben“:

„Sie kamen, vernichteten, verbrannten, mordeten,

plünderten, und gingen weg.“

 von Hadi Resasade

 

„Dschingis Khan und seine Erben“ ist eine Ausstellung in der der Bundeskunsthalle in Bonn (16.06.-25.09.2005). Anlass ist das 800jährige Bestehen der Mongolei.  Im Jahre 1206 brachte Dschingis Kahn die verfeindeten Stämme unter seiner Herrschaft.

Mit dieser Ausstellung soll „das Bild von den grausamen Reitertruppen korrigiert… und die herausragende Rolle des Nationalhelden: als Gesetzgeber und Globalisierer, Kulturstifter und Weisheitslehrer.“ hervorheben gehoben werden. (FAZ) Der Bonner Mongolen-Experte Klaus Sagaster bezeichnete Dschingis Khan «ein Sohn seiner Zeit». Er sei hart gegen seine Gegner vorgegangen, aber anderswo ginge es keineswegs gemäßigter zu, meint der Experte, ohne zu sagen, was er konkret unter „anderswo“ versteht.

Diese Einschätzung bestätigt die traurige Wahrheit, daß die Faszination der Macht, Personenkult und Heldenverehrung viel länger im kollektiven Bewußtsein überdauern, als die Erinnerung an die Opfer der Tyrannei.

Der große Ansturm auf Zivilisationen:

Der Ansturm der Mongolen ab 1219 nach Zentralasien, Afghanistan, Iran und später nach Westasien war keine normale Eroberung, sondern ein gnadenloser Angriff auf die damaligen großen Zivilisationen (Islam und Christentum).

Dschingis Khan griff 1219 die heutigen Gebiete von Afghanistan und Iran (das Reich der Choremiden) an. Diese Angriffe gingen mit Unterbrechungen durch seine Söhne und Enkel 40 Jahre lang weiter.

Auch Europa wurde angegriffen, blieb aber durch einen Zufall verschont:  1237 plünderten die Angreifer die Städte um Wladimir und Susdal und 1240 sogar Kiew. Dann zogen sie weiter Richtung Westen. Um 1241 hatte das Heer die adriatische Küste erreicht und war breit, Westeuropa anzugreifen. 1241 zogen sie plötzlich ab. Wegen des Todes des Groß-Khans Ögödei in der Mongolei zog sich  Batu in die Heimat zurück, um an der Wahl des  Nachfolgers teilzunehmen.

Was unterscheidet aber diese Angriffe von „normalen“ Eroberungen vor und den Mongolen?

 

Jahre der Schreckensherrschaft in Afghanistan und Iran

Was insbesondere bei dem ersten Ansturm von 1219 unter direktem Kommando von Dschingis Khan geschah, übertrifft alle Grausamkeiten der menschlichen Geschichte. „Anderswo“ kennen wir solche Barbareien nicht. Einige Stichworte:

Buchara, eine glänzende Handelsstadt mit zahlreichen berühmten Universitäten und Bibliotheken wurde in eine Ruine verwandelt und 30.000 Menschen getötet. Samarkand und Balkh ergaben sich, mussten aber ein fürchterliches Gemetzel erleiden. Ein Mann, der aus der brennenden Stadt Buchara entkommen konnte, berichtete: „sie kamen, vernichteten, verbrannten, mordeten, plünderten und gingen wieder weg.“ Es wird berichtet: „Die überlebenden Einwohner flüchteten in die große Moschee der Stadt und  zitterten vor Angst. Plötzlich erschien der Mongolenkaiser hoch zu Roß. Die Worte die er in die tödliche Stille hinein gesprochen haben soll, klingen noch nach beinahe 800 Jahren so schaurig, daß sie Gänsehaut erzeugen:  Fragt ihr, wer ich bin? Ich bin die Geißel Gottes, ich bin die Rache des ewigen Himmels und ich bin gekommen, euch zu zerstören!“ (Zitat Hans Wagner, Die Mongolen, www.euroasiatischesmagazin.de )

Das Gemetzel in der  wissenschaftlichen Hochburg der islamischen Welt Merw dauerte 13 Tage und kostete 1.300.000 Menschen das Leben. Die Stadtbibliotheken, der Stolz des Islam, wurden niedergebrannt und die Stadt eingeäschert.

In Neishabour wurde die gesamte Bevölkerung niedergemacht, nur 400  künstlerisch begabte Handwerker wurden am Leben gelassen und in die Mongolei deportiert. Auch aus anderen Städten wurden nach diesem Muster die fähigsten Handwerker in die Mongolei umsiedelt. Die Frage ist berechtigt, wie viele der 500 Exponaten der Bonner Ausstellung Produkte dieser „Zwangsarbeiter“ sind?

Die schöne Stadt Rey wurde mitsamt ihren 3.000 Moscheen und berühmten Keramikbrennereien zu einem Trümmerfeld.

Meine Geburtsort Herat, das sich gegen den mongolischen Statthalter aufgelehnt hatte, wurde mit der Hinrichtung von 60.000 Menschen bestraft. Es blieben nur 40 Menschen dem Gemetzel der Angreifer verschont.

Die Mongolen verhielten sich bei diesen Angriffen nicht als „Eroberer“ im klassischen Sinne. Eroberer haben die Gewohnheit in Heuschlichehrweise sich als „Befreier“ auszugeben, um ihre Feldzüge zu legitimieren. Die meisten Eroberer blieben auch  in diesen Gebieten, oder annektierten diese.  Eine totale Zerstörung der Infrastruktur und Ermordung ganzer Stadtbevölkerungen wurde aus „eigenem Interesse“ vermieden. Dagegen hatte der Ansturm der Mongolen einen zivilisationsfeindlichen Charakter mit einer Freude an Vernichtung und Mord. „sie kamen nicht als Eroberer, um zu bleiben, sondern um zu rauben und zu morden und ihre Beute in die Mongolei zu bringen.“ (Will und Ariel Durant, Kulturgeschichte der Menschheit, Nauman & Göbel, Köln 1985, Bd. 5, S. 600). Ferdinandy schreibt dazu: „Dschingis Khan zerstört, tötet, versklavt oder verschleppt den größten Teil der Bevölkerung eines großen Kulturreiches. Seine Mongolen zerstören das in Jahrhunderten Aufgebaute, das mühsam menschlich Erzeugte ganz bewußt und nicht nur in Wut und Rache, sondern auch mit einer besonderen Wollust. Als die Söhne des Khans die turanischen Städte nacheinander genommen hatten, zerstörten sie mit voller Absicht das großartige Kanalisationsnetz dieser Gegenden.“ (Michael de Ferdinandy, Tschingis Khan – Steppenvölker erobern Eurasien, rohwohlts deutsche Enzyklopädie (rde), Band 64, Hamburg 1958)

Besonders unmenschlich war die Behandlung der Bevölkerung von eroberten Städten, die eher zur Steinzeit, als  zu dem  13. Jahrhunderts passte: Dschingis Khan war keineswegs ein „Sohn seiner Zeit“. Er wollte bewußt  Schrecken und Einschüchterung verbreiten. Wenn eine Stadt sich bedingungslos und sofort ergab, wurde wie  in der Regel wie folgt verfahren: die  Bevölkerung wurde erst aus der Stadt evakuiert, und auf die Wüste vertreiben. Nachdem die Stadt geplündert war, wurde die Bevölkerung selektiert: Kampffähige Männer mussten in ihrer Vorhut marschieren. Man zwang sie, entweder gegen ihre Volksgenossen zu kämpfen, oder von hinten niedergemacht zu werden; junge Frauen wurden als Sklavinnen unter die Offiziere verteilt;  Handwerker wurden nach Mongolei gebracht; und die Schwachen und Alten konnten in die Ruinen der Stadt zurückkehren. Wenn aber Widerstand geleistet wurde, oder im Falle eine Auflehnung gegen den Statthalter, wurde die Bevölkerung gemetzelt. (Herat 1221). Menschen wurden in diesen Fällen aus der Stadt herausgebracht. Jedem mongolischen Kämpfer wurde eine Gruppe (400-500 Menschen) zum töten zugeteilt. Die Opfer wurden dann mit Äxten, Beilen, Schwert und Keulen getötet.  Die schreibkundigen Männer der Stadt wurden dann mit der Zählung der Toten beauftragt. Der islamische Historiker Joweini berichtet, daß die Zählung der Toten in Merw 13 Tage dauerte. Warum geschah aber diese makabre Totenzählerei? Wollten die Angreifer damit ihren „Erfolg“ festhalten? Historiker  berichten diese Fälle nach der Eroberung von zahlreichen Städten im heutigen Afghanistan und Iran.

Das wahre Erbe der Mongolen:

Die Mongolen hinterließen Zustände, welche die islamischen Welt für mindestens 2 Jahrhunderte in ihrer Entwicklung zurückwarfen:

Die autochthone Entwicklung des feudalen Systems wurde längere Zeit unterbrochen. Mongolische Nomaden und Viehzüchter wurden in die eroberten Gebiete umgesiedelt. Landwirtschaftlich nutzbare Flächen wurden zu Waiden. Der islamische Historiker Rashid-du-Din (1247-1318) schreibt, daß in vielen iranischen Dörfern noch im Jahre 1295 nur 1/10 des Landes anbaufähig war. Die Region von Balkh als Produktionsort für Seide und berühmt als Kornkammer der Provinz Khorassan wurde ruiniert.

Die Urbanisierung und Entwicklung von Städten als Voraussetzung für Handel, Handwerk und Bildung war vor den mongolischen Angriff weit fortgeschritten. Die Städte hatten weit mehr Anwohner, als europäische Städte. Zwischen 1220 und 1222 wurde das gesamte Gebiet von Khorassan zerstört. Viele zerstörten Städte blieben bis Ende des 13. Jhdts. unbewohnt. Die Zahl der Opfer in Chorassan wird von Historikern mit mehr als 5 Millionen geschätzt. Der Historiker Zahir-ud–Din Marashi schreibt 1470, daß die Provinz Mazandaran am Kaspischen Meer noch in diesem Jahr eine Ruine war

Bei der Verfolgung des  Königs Mohammad wurden weitere Städte angegriffen. Bevölkerungsrückgang und die Verschlechterung der demographischen Struktur waren nicht mehr mittelfristig wiedergutzumachen. Flucht von Menschen verringerte weiter die Stadtbevölkerung. Von manchen großen Städten der damaligen Zeit (Merw, Tous, Rey) sind heute nur noch Namen geblieben. Weitere Städte wurden zu Dörfern zurückentwickelt. Anfang des 10. Jhdts gab es in der Umgebung von Herat ca. 400 Dörfer. Anfang des 15. Jhdts wurden nur noch 176 Dörfer gezählt.

Die für Iran typischen Jahrhunderte alten Bewässerungsanlagen (unterirdische Wasser Kanäle, Ghanat-System) waren für die Landwirtschaft in diesem unter Wassermangel leidendem Land unentbehrlich. Die Mongolen schütteten viele dieser Kanäle zu. 

Die ohnehin schwache Zentralregierung der Chwarezemen wurde weiter geschwächt. Eine für die Mongolen typische politische Hierarchie von Herrschaft der Khanen (Fürsten und Warlords) wurde eingeführt. Afghanistan leidet noch heute unter dieser dezentralen Machtstruktur.

 

„Fünf Jahrhunderte lang, von 700 bis 1200, war der Islam nach Macht, Ordnung, Ausdehnung der Regierungsgewalt, Verfeinerung der Sitten, Lebensstandard, humaner Gesetzgebung und religiöser Toleranz, Literatur, Wissenschaft, Medizin und Philosophie führend in der Welt.“ (Durant, abda, S. 600)

Die islamische Welt war auf dem besten Wege zu einer wissenschaftlich-rationalen Denkweise. Ohne dieses rationale Denken hätte man keine mathematischen, medizinischen, architektonischen und astrologischen Entwicklungen  erreichen können. Dieser Angriff warf diese Entwicklung weit zurück. Die seelischen Wunden und traumatischen Erlebnisse brachten Weltabkehr, Fatalismus, Passivität, Mutlosigkeit, Resignation und eine negative Art des „Sufismus“ und Weltverneinung mit sich: Die Mongolen hinterließen „eine entzweigespaltete und seelisch erschütterte Bevölkerung.“ (Durant, S. 559f).

 

Die Spaltung der Welt

Der Ansturm der Mongolen veränderte das bis dahin herrschende Gleichgewicht zwischen Orient und Okzident und verlagerte das kulturelle, zivilisatorische und wirtschaftliche Schwergewicht weit nach Europa. Es entstand zwischen Europa und islamischer Welt eine Kluft, die bis heute immer größer wird. Auch Russland, wo die Mongolen noch lange Zeit Teile des Landes beherrschten,  wurde zur Unterentwicklung verdammt. Alle kulturellen Anbindungen Rußlands an den Westen wurden für zwei Jahrhunderte unterbrochen. Der Vernichtungskrieg der Mongolen gegen die islamische Welt ist der Anfang vom Ende einer Zivilisation, die bis dahin dem Westen überlegen war. Während die islamische Welt noch unter dem Angriff der Kreuzfahrern  stand, versuchte  Vatikan darüber hinaus Kontakte mit den Mongolen herzustellen, sie zu christianisieren und neue Verbündete gegen die islamische Welt zu gewinnen. Auf dem Konzil von Lyon wurde im Jahr 1245 dieser Plan heftig diskutiert. Mit einem Brief des Papstes an den Mongolen-Khan wurde schließlich der italienische Franziskaner Plano del Carpini auf die Reise geschickt. Dieser Versuch blieb aber ohne Erfolg. Die westasiatischen Mongolen nahmen den Islam an und verloren vor allem durch iranische Wezire und Berater ihre ursprüngliche Kulturfeindlichkeit.

Die Muslime verhinderten sogar einen weiteren Angriff der Mongolen in Richtung Europa und bewährten sich als europäisches Schutzschild.

Nach der Eroberung Bagdads (1258) durch Hulaku Khan wollten die Mongolen unter weiter nach Westen marschieren, wurden aber von einer ägyptischen Armee der Mameluken in Palästina geschlagen (1260). „Überall  im islamischen Bereich und Europa jubelten die Menschen aller Religionen; der lähmende Zauber des Schreckens war gebrochen.“ (Will und Ariel Durant, Seite 600)

So konnte Westeuropa ohne äußere Feinde, sich weiterentwickeln. Seit dieser Zeit drohte Europa nie eine erste Gefahr von Außen. Die fortschreitende technologisch-wissenschaftliche Überlegenheit des Westens verhinderte auch in den darauf folgenden Jahrhunderten alle Angriffe aus dem Osten (Türkenkriege)

Bezeichnenderweise wird Dschingis Kahn auf der Ausstellung in Bonn als „Globalisierer“ gefeiert. Etwas Wahres ist daran: er hat Europa und Asien einander näher gebracht. Aber Nutznießer dieser Annährung war Europa:  Der Weg für Expansion und Kolonialismus wurde durch die Mongolen geebnet, See– und Handelswege wurden erschlossen, und die unterlegene islamische Welt war kein ernstzunehmender Konkurrent und Störer mehr. Die Westeuropäer waren weder klüger, noch fleißiger als die östlichen Völker (auch Westdeutsche und insbesondere die Bayern sind nicht intelligenter als die Ostdeuteschen!), aber die Startbedingungen waren andere. Ohne Dschingis Khan wäre vielleicht die Welt heute friedlicher und das Verhältnis zwischen Islam und Christentum  besser. Historisch bedingte Demütigungen und Erniedrigungen bleiben im kollektiven Gedächtnis der Völker haften und sind die schlimmsten Feinde für Frieden und Harmonie in der Welt.

 

 

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