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 Der Gottesbegriff nach Tsunami 2

Der Tsunami vom 2. Weihnachtstag 2004 forderte rund 300.000 Opfer. Zehntausende wurden verletzt und Millionen von Menschen obdachlos.

Seit diesem Tag stellt sich wieder die uralte Frage: „ist Gott gleichzeitig allmächtig und allgütig? Wenn Gott mit dieser Katastrophe seine Allmacht gezeigt hat, dann ist er nicht allgütig; wenn er allgütig ist, hatte er also keine Macht diese zu verhindern.“

Die Frage der Theodizee (Rechtfertigung Gottes hinsichtlich des von ihm in der Welt zugelassenen Übels u. Bösen, das man mit dem Glauben an seine Allmacht, Weisheit und Güte in Einklang zu bringen sucht) wurde das letzte Mal vor 250 Jahren nach dem verheerenden Seebeben von Lissabon in Europa gestellt. Am 01. November 1755 wurde die prächtige Stadt Lissabon durch ein Seebeben der Stärke 9 erschüttert und weitgehend zerstört. Die Flutwellen wurden bis in der Nähe von Hamburg registriert. Es kamen etwa 60.000 Menschen ums Leben. Die seismologische Erschütterung durchdrang auch die Köpfe vieler Denker und führte zu einer ernsten Krise der Philosophie und Theologie. Fast alle zeitgenössischen Denker beteiligten sich in den folgenden Jahrzehnten an der teleologischen Diskussion über die Gerechtigkeit Gottes, u.a. Gottsched, Lessing, Kant, Goethe, Rousseau und Voltaire.

 

Der Allmächtige war da, der Gnädige aber nicht.

Voltaire soll nach dieser Katastrophe seinen Glauben verloren haben.  Er schrieb:

„Du ewiges Geschehen nutzloser Katastrophen! Ihr ruft: ‚Alles ist gut!‘ Getäuschte Philosophen, kommt her und schaut euch an: entsetzliche Ruinen, die Scherben und der Schutt, von Asche die Lawinen, und Schicht auf Schicht gehäuft die Kinder und die Frauen, zerstreuter Gliederstaub, vom Marmorstein zerhauen“ In seiner philosophischen Erzählung »Candide oder der Optimismus« (1759) schreib er weiter: „Entsetzt, bestürzt, seiner Sinne nicht mächtig, über und über blutend und zitternd, sagte Candide sich: >Wenn dies die beste aller möglichen Welten ist, wie müssen dann erst die anderen sein?<“

Auch der junge Goethe war nicht wenig betroffen: „Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden (…) hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen.“

Strafprediger hielten dagegen an ihrem Gottesbild fest: Die katholische Kirche interpretierte das Geschehen als Strafe Gottes für die Lasterhaftigkeit der Menschen. Britische Protestanten hingegen waren der Meinung, Gott missbillige katholische Verbrechen. Deutsche Protestanten sahen gar den Untergang des Katholizismus gekommen.

Nach dem Tsunami vom Dezember 2004 waren die Strafprediger (zumindest unter den Christen) in absoluter Minderheit, was ein gewaltiger Fortschritt im religiösen Glauben darstellt. Dennoch blieb die Frage der Rechtfertigung der göttlichen Güte und Barmherzigkeit trotz einer solchen Katastrophe auch 250 Jahre nach Lissabon offen. Man konnte nur das wiederholen, was seit Leibniz bekannt ist: „das Negative kommt nicht von Gott; sie sind Mängel und Verkehrungen der göttlichen Schöpfung durch den Menschen“; „Gott lässt das Böse nur im Einzelfall zu, um die Gesamtheit der Schöpfung so vollkommen wie möglich darzustellen.“; „Gott ist allwissend und verfolgt mit solchen Übeln Absichten, die den Mensch verborgen bleiben.“

Wir respektieren diese Antworten und würdigen alle Versuche, die darauf ausgerichtet sind, Gott als barmherzig, allgütig und gnädig zu bezeichnen. Dies ist in einer Zeit, wo Grausamkeiten und Aggressionen im Namen Gottes stattfinden, ein begrüßenswerter positiver Schritt den „humanen Kern“ der Religion zu betonen.

Mir scheinen aber nicht die Antworten problematisch, sondern halte die ursprüngliche Fragestellung und den damit verbundenen Widerspruch (Güte versus Allmacht) für falsch: es ist unklar, von welchem Gott überhaupt hier die Rede ist, der gleichzeitig allgütig und allmächtig sein soll? Welcher Gottesbegriff liegt dieser Frage zugrunde? Was ist unter der Schöpfung Gottes zu verstehen?

 

Sind Gott und Naturgesetze Konkurrenten?

Emanuel Kant beschäftigte sich 1756 (ein Jahr nach dem Seebeben)  intensiv mit der erschütternden Katastrophe von Lissabon und verfasste darüber drei Schriften. In seiner 2. Schrift betont er  die Unterwerfung der Natur unter bestimmte Naturgesetze. Diese von Gott eingerichteten Gesetze bestimmen nach Kant den Ablauf der Natur, ein direktes Eingreifen Gottes steht für ihn daher nicht zur Diskussion. Kant betont die Sinnhaftigkeit der Naturgesetze – bezogen auf die gesamte Schöpfung. Deshalb fällt es ihm nun nicht schwer, positive Begleiterscheinungen des Bebens als Beweisgründe für diese These anzuführen. In seiner „Schlußbetrachtung“ wendet sich Kant noch einmal vehement gegen eine Deutung des Bebens als Strafgericht Gottes („Diese Art des Urteils ist sträflicher Vorwitz.“) und weist, ähnlich wie Rousseau, metaphysische oder theologische Interpretationen zurück.

Schließlich verfasste er unter dem Eindruck dieser Katastrophe 1791 seine Schrift  „Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee“  Er lehnt das Argument ab, Gott habe das Übel in der Welt zugunsten des Ganznen nicht vermeiden können und daher zugelassen. Er hält die Frage der Theodizee mit Hilfe der spekulativen Vernunft nicht lösbar. Gott könne nicht im Sinne objektive Erkenntnis verstanden und erkennen werden. Kant war mit seinen Überlegungen seiner zeit weit voraus. Er hatte nicht das begrenzte menschliche Leben, sondern die Gesamtheit der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten vor Augen.

In seinem Sinne wenden wir uns einmal  der Geschichte der „Entfaltung der Wandlungsfülle des SEINS“ (Martin Heidegger) stichwortartig zu:

 

Gott lenkt, der Mensch denkt.

Nach Schätzungen der Physiker entstand das Universum vor 11 bis 15 Mrd. Jahren durch den berühmten „Urknall“. Innerhalb von Sekunden soll sich ein „Nullpunkt“ mit ungeheurer Energie und Geschwindigkeit expandiert haben; eine Expansion, die sich noch fortsetzt. Nach Einsteins Gravitationstheorie kann diese Expansion in drei Richtungen laufen: sie kann in alle Ewigkeit weiter gehen; sie kommt in unendlicher Zeit zum Erliegen; oder sie verwandelt sich nach endlicher Zeit in eine Kontraktionsbewegung, bei der sich das Universum in einem Endknall selbst vernichtet. Kommt es dann also zu einem neuen Urknall?  Das Alter der Erde wird mit 4,6 bis 5 Mrd. geschätzt.  Den vernunftbegabten Menschen (Homo sapiens) gibt es seit etwa 130.000 Jahren, und der Gottesglaube (Monotheismus) entstand vor ca. 4.000 Jahren.

Als vor 65 Mio. Jahren durch eine gewaltige Naturkatastrophe das Leben der Saurier und die Vegetation total ausgelöscht wurde, war kein vernunftbegabter Mensch da, um zu fragen: „Warum hat Gott dieses Leid zugelassen.“ 

Wie man auch zu Gott steht, kann als Konsens anerkannt werden, daß der „Gottesglaube“ nur mit dem vernunftbegabten Menschen geboren wurde. Dies bedeutet nicht, daß der Mensch Schöpfer Gottes sei. Er schuf aber zumindest mit seiner Sprache den Begriff „Gott“ und seine Attribute, wie „Gerechtigkeit“, „Güte“, „Barmherzigkeit“, „Allwissenheit“, „Allmacht“ u.a. Es ist bemerkenswert, daß der Mensch in einem sehr frühen Stadium intuitiv zur Erkenntnis kam, daß die Schöpfung einen Anfang, ein Ende und eine der Welt innewohnende „Urkraft“ hat, und nicht von absoluter Ewigkeit ist. Von Aristoteles bis zum Beginn des 20. Jhdts.  war dagegen die Wissenschaft von der Unwandelbarkeit und damit der Ungeschichtlichkeit des Universums überzeugt. Selbst Albert Einstein, der 1917 die Gravitationstheorie auf die Welt im Großen anwendet, ging noch von einem statischen Modell aus, in dem eine endliche Welt von Ewigkeit an existiert und niemals endet.

Lange Zeit bildeten Wissenschaft und Glauben keine Gegensätze, und der Mensch als „Diener“ Gottes sah zwischen Allmacht und grenzloser Barmherzigkeit Gottes keinen Widerspruch, denn was nicht in diese Formel passte, wurde als „unbegreifbarer Wille Gottes“ interpretieret.

Erst der Fortschritt des Wissens konfrontierte die Menschen (im Mittelalter) mit Frage der Vereinbarkeit zwischen Güte und Allmacht Gottes.

Mit Bescheidenheit kommen wir weiter. Wir haben also hier mit einer Frage zu tun, die gemessen am zeitlichen und räumlichen Dimension des Universums fast „bedeutungslos“ ist.  Seit fast 15 Mrd. Jahren wird das Universum ohne Rücksicht auf die unbedeutende menschliche Kreatur von einer unvorstellbaren und allen Wesen innewohnenden „Urkraft“ gelenkt und gesteuert. Nur in der Geschichte der Menschheit wurde diese Urkraft von Menschen beachtet und mit von ihm geschaffenen Begriffen wie: „Logos“, „Idee“, „absoluter Geist“, „Energie“, „absoluter Macht“, „Wille“, „Vernunft“, „Naturgesetz“, „Liebe“, „das Absolute“ u.a. bezeichnet. In einer islamischen Überlieferung sagt Gott: „Ich war ein verborgner Schatz, und schuf den Menschen, um von ihm entdeckt zu werden.“

Ich möchte anstatt aller obigen Begriffe von einem „Erhabenen“ sprechen, das alle diese Worte annimmt, aber gleichzeitig sich jeder Umschreibung entzieht. Der Mensch wollte sich aber nie mit diesem „Entzug“ abfinden und sucht ständig nach einem Zugang zu diesem rätselhaften Quellgrund des Seins, zum Erhabenen. Diese Suche ist nicht ein teil des Menschen, sondern die Grundlage der Existenz:  Der Mensch existiert, indem er sich selbst überschreitet. Er hat immer wider versucht, dieses „Absolute“ zu „entdecken“, scheiterte aber ständig an den Grenzen seines Denkvermögens. Wie eine Ameise, die immer wider mit einer überschweren Nahrung eine steile Wand hochklettert, aber immer wieder herunterfällt, suchte der Mensch permanent das Aufsteigen und die Annährung an das Erhabene. Dieser ständige Versuch ist der universelle und letzte SINN des menschlichen Lebens.

Der Mensch sucht einen Zugang zum Erhabenen.

Das Ergebnis dieser Suche war und bleibt immer unbefriedigend, menschlich und widersprüchlich. Es gleicht dem Versuch eines kleinen Kindes, eine wunderschöne Naturlandschaft aus seinem Blick und mit ungeübter Hand aufs Papier zu bringen. Häufig wurde dieses Abbild durch Menschenhand zu einer Karikatur, die er für schön und vollständig hielt. Daß der Mensch bei der Zeichnung des „Unvorstellbaren“ sich in Widersprüche verwickelt hat, und nicht weiß, wem er das selbst definierte  „Übel“ zuschreiben soll, und wie „Allmacht“ und „Güte“ zusammenpassen, ist selbstverschuldet und hausgemacht. Objektiv gesehen gibt es diesen Widerspruch nicht; es existiert nur in unseren Köpfen. Wenn wir einen Vulkan  aus großer Entfernung betrachten, sehen wir darin ein „prächtiges Naturschauspiel“. Wenn aber eine an diesem Berg gebaute Stadt dabei untergeht, reden wir mit Recht von einer „Naturkatastrophe“.

Wir haben also mit zwei Komplexen oder Ebenen zu tun, die aus philosophischer Sicht getrennt voneinander zu behandeln sind: Das Erhabene als Urkraft und ständiger Begleiter des Seins entzieht sich jeglichen von menschlicher Sprache und Vorstellungen geschaffenen Attributen. In diesem Reich haben unzulängliche Begriffe wie Macht, Gewalt, Gerechtigkeit, Übel, Böses, Güte, Barmherzigkeit u.a. keinen Platz. Alle diese Begriffe sind Erzeugnisse der menschlichen Vernunft, Bemühungen eines neuen Gastes auf dieser Erde, der als letzter die Bühne betrat, aber das ganze Sein in seinen Dienst stellen will. Das Erhabene denkt aber nicht, sonder lenkt ohne Rücksicht auf menschliche Definitionen von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Das Erhabene ist „bedürfnislos“ und „souverän“. Wir können Ihm diese und jene Attribute geben; er nimmt wohl diese Geschenke an, ist aber nicht darauf angewiesen, sich nach unserem Willen zu richten. Je näher wir in unseren Vorstellungen glauben an dieses Absolute herangetreten zu sein, desto mehr entzieht und entfernt es sich von uns, denn das Universum expandiert mit einem für uns unklaren Endziel.

 

Die Suche geht weiter ….

Aber durch menschliche Vorstellungen und Attributszuweisungen wird das Erhabene nicht abgewertet, sondern  vermenschlicht und ansprechbar gemacht. Der Mensch vermenschlicht das Universum und die Natur, schafft Wärme in einer kalten Welt, verbinden sich mit dem Dasein, nimmt menschliche Mitverantwortung an, und gibt dem Leben Licht und Sinn. Auch Atheisten sind von dieser Versuchung nicht auszunehmen, denn sie befassen sich gedanklich mit Gott mehr als die Gläubigen. Ob man das Erhabene als Naturgesetz, oder Gott bezeichnet, spielt keine Rolle. Wichtiger sind die praktischen Konsequenzen im täglichen Leben: Umgang mit der Natur und Lebewesen, Gerechtigkeitssinn, Solidarität und Menschlichkeit. In der Tat ist das Bedürfnis nach Geborgenheit, Wärme, Sicherheit, Überschreitung der Realität, Phantasien, Träumen und Hoffnungen älter, als die Weltreligionen und ihre Anweisungen für den richtigen Weg zu Erhabenen.  „Die Durchdring des Endlichen durch das Unendliche“ (Friedrich Schleiermacher) war und bleibt der Hauptantrieb und sinnspendende Kraft, die immer das Höchste gesucht hat. Ohne diese schöpferische Kraft wäre das Leben ein sinnloses Unterfangen. Gottesglaube ist also nur eins der Mittel gewesen, um die Begeisterung für das Schöne und Erstaunliche zu kanalisieren.

Gottesglaube als die Personfitzeierung des Unbegreiflichen war also ursprünglich eine rein menschliche und individuelle Erfahrung auf der Such nach einer Verbindung mit dem Universum. Durch große Weltreligionen wurde er auf Gesellschaft, Politik und Natur übertragen. Die Säkularisierung trennte den Glauben von der Politik und machte ihn zu einer individuellen menschlichen Angelegenheit, ohne ihn jedoch von Natur und Universum zu trennen. Diese Trennung muß auch nicht unbedingt stattfinden. Aber solange versucht wird, diese Verbindung wissenschaftlich, philosophisch oder theologisch zu begründet, wird uns das Dilemma „Güte versus Allmacht“ ständig begleiten. Gottesglaube ist nur eine ästhetische menschliche Erfahrung, die sich naturwissenschaftlichen und theologischen Begründungen entzieht. Vielleicht stehen wir nach dem 26. Dezember 2004 vor einer neuen Wende im Gottesbegriff und einer zweiten Säkularisierung, in dem „der menschliche Gottesglaube“ vom Gang der Naturgesetze getrennt wird, ohne jedoch den von Menschen mühsam erkämpften Zugang zum Höchsten Wesen zuzuschütten. Wie dies gelingen soll, ist selbst ein Problem. Wenn man nach einem allgemeingültigen Rezept sucht, wird man unvermeidlich mit neuen Widersprüchen konfrontiert werden. Die Lösung des Problems soll nur dem mündigen und aufgeklärten Individuum selbst überlassen bleiben. Es ist auch besser, wenn diese Problematik offen bleibt. Wird diese kreative Suche beendet, so endet damit auch die schöpferische und sinnspendende Suche des Menschen nach Entwicklung und Selbstentfaltung.

Hans Jonas inspirierte mich mit seinem Vortrag „Der Gottesbegriff nach Auschwitz“ zu diesen Gedanken. Auch mit seinem Schlußwort möchte ich meine unvollendeten Überlegungen abschließen:

 

Meine Damen und Herren! All dies ist Gestammel. Selbst die Worte der großen Seher und Beter, der Propheten und Psalmisten … waren ein Stammeln vor dem ewigen Geheimnis… Von meinem armen Wort … kann ich nur hoffen, daß es nicht ganz ausgeschlossen sei von dem, was Goethe im ‹Vermächtnis altpersischen Glaubens› in die Worte fasste:

und was nur am Lob des Höchsten stammelt,

Ist in Kreis´ um Kreise dort versammelt.›

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