Gottesbild und Menschenbild bei

Rumi und  Meister Eckhart

Es gibt in der Geschichte Epochen, in denen in verschiedenen Kulturen gleiche geistige Entwicklungen ablaufen. Im 13. Jahrhundert fanden fast zeitgleich im Christentum, Islam und im fernen Osten geistige Erschütterungen statt, die die Frage nach dem Wesen des Menschen und seinem Schicksal neu stellten. In diesem Jahrhundert entstanden in allen diesen Kulturen mystische Bewegungen, die sich gegen die Orthodoxie und das traditionelle Gottesbild der Religionen richteten. Wir möchten hier nur kurz auf parallele Entwicklungen dieser Zeit im Islam und Christentum eingehen:

Fast gleichzeitig mit Meister Eckkart (1260-1327) lebte in Konya (Türkei) Mevlana Djalal od-Din Rumi (geboren 1207 in Balkh/Afghanistan, gestorben 1273 in Konya). Die geistige Verwandtschaft dieser beiden Mystiker ist so eng, daß beim Leser der Werke der Eindruck entsteht, sie hätten sich gekannt und  miteinander gesprochen!

Beide Mystiker (Meister Eckhart in Köln und Paris und Rumi in Konya) waren ursprünglich Theologieprofessoren und fanden schließlich in der Mystik den wahren Weg zum menschlichen Glück. Sie haben beide ein gemeinsames Gottesbild, das sich von der Orthodoxie unterscheidet. Gott ist für sie nicht eine rach– und strafsüchtige  übermenschliche Autorität, die  im Himmel wohnt, sondern ein „Geliebter“ des Menschen. Rumi drückt dies in einer wunderschönen Geschichte in seinem Hauptwerk „Mesnewi“ aus: Moses trifft einen Schäfer, der Gott mit folgenden Worten anruft:

 

Wo bist Du, daß ich Dein Diener werde,

Deinen Rock Dir flick´ Dein Haar Dir kämme,

Wasch´ Dein Kleid und töte Deine Läuse,

Milch Dir bringe, o Du Hocherhab´ner?

Küß´ Dein Händchen und massier´ Dein Füßchen,

Und zur Schlafenszeit  feg´ ich Dein Plätzlein,

O Du, dem ich alle Zicklein opfere …

 

(Annemarie Schimmel, Rumi – Ich bin Wind und du Feuer, Eugen Diederichs Verlag, München 1991, Seite 161)

Moses wird über diese blasphemischen Ausdrücke zornig, verlangt vom Schäfer zu schweigen und jagt ihn fort. Gott belehrt Moses dann  mit den Worten:

„Du mein Diener von mir getrennt. Ich schickten Dich, damit Du mich mit Menschen verbindest, aber nicht trennst. Gott achtet auf die inneren Werke der Menschen, und nicht auf äußere Werke und Worte … Liebende kennen keine Religion; ihre Gemeinschaft und ihre Religion ist  der einzige Gott…“

Bevor Rumi sich der Mystik zuwandte, war er ein frommer und orthodoxer Muslim. Er war der ranghöchste Lehrer der islamischen Theologie in Konya. Die Begegnung mit dem Wanderderwisch Shams veränderte sein Leben. Er trennte sich von Wissenschaft und fand die Wahrheit und Weisheit durch mythischer Erfahrung. Er verzichtete auf den großen Ruf als „religiöse Autorität“ und fand in Tanz, Gesang, Musik und Dichtung die innere Reinheit. Seine Schüler, die diese Abkehr nicht verkraften konnten, entführten angeblich seinen Freund Shams und töteten ihn.

Als Rumi am 17. Dezember 1273 starb, nahmen alle Religionsgemeinschaften an seiner Beisetzung teil. Sie priesen ihn: „Er war unser Jesus, er war unser Moses“

(ebda, S. 44)

Meister Eckkart war zu dieser Zeit 13 Jahre alt. Auch er war ein hoch anerkannter Meister der Theologie,   hatte vielleicht bei Albertus Magnus studiert, durchlief alle Stufenleitern der akademischen Karriere und war Dozent und Magister der Universität Paris. Auch er fand schließlich das innere Glück in der Einheit mit Gott. Auch sein Gottesbild ist von christlicher Teleologie seiner Zeit weit entfernt. Er glaubt nicht an eine himmlische Hierarchie und einen Gott, der über den Menschen steht. Das Verhältnis zwischen Mensch und Gott ist ein Liebensverhältnis. Wegen dieser „unchristlichen“ Denkweise und „Häresie“ eröffnete der Kölner Erzbischof 1326 gegen ihn ein Inquisitionsverfahren. Die Verurteilung wurde vom Papst Johannes XXII. bestätigt, aber inzwischen war Meister Eckhart gestorben. Die Inquisitoren nannten als Beweis für seine Verurteilung 28 Sätze aus seinen Predigten.

Im 9. Satz des Meister Eckhart heißt es:

„Ich habe neulich darüber nachgedacht, ob ich von Gott etwas annehmen oder begehren wollte: Ich möchte das mir gar sehr überlegen, weil ich da, wo ich der von Gott Empfangende wäre, unter ihm oder unterhalb seiner stünde, wie ein Diener oder Knecht; er selbst aber ein Herr wäre durch sein Geben; und so soll es mit uns nicht stehen im ewigen Leben.“

Noch radikaler geht er im 13. Satz mit der traditionellen Gläubigkeit um:

„… Er (der Mensch) hat zusammen mit Gott Himmel und Erde geschaffen; er ist Zeuger des ewigen Wortes und Gott wüßte ohne einen solchen Menschen nichts zu tun.“ Ein weiterer Satz erinnert direkt an Rumi´s obige Verse, wo Gott „von inneren Werken“ spricht. So heißt es im Satz 18: „Laßt uns nicht die Frucht äußerer Werke bringen, die uns nicht gut machen; sondern innere Werke, die der Vater, in uns bleibend, tut und wirkt.“

(Meister Eckhart, Vom Wunder der Seele, Reclam Bd. 7319, Stuttgart 1996, Seite 74f)

Die geistige Verwandtschaft zwischen Islam und Christentum ist größer als man denkt, insbesondere wenn es um mystische Aussagen und Erfahrungen geht. Um mit Berthold Brecht zu sprechen, müssen wir zugeben, dass wir „heute wahrlich in schlechten Zeiten leben…“ Islamische Fanatiker, die rachsüchtig sind (wie ihr Gott) auf der einen Seite, und fanatische Christen, die von einem neuen „Kreuzzug“ reden, stiften Trennung und Haß.

Rumi und Meister Eckhart leben aber weiter, und die Zukunft gehört ihnen, weil sie durch die Verneinung der himmlischen Autorität auch irdische autoritäre Gewaltprediger ablehnen.

Hadi Resasade

www.resasade.de

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