Integration ist die Schaffung von neunen Mechanismen, um  bei Neuentstehung von Strukturen die neuen und alten Segmente zusammenfügen. In diesem Prozeß wird die Desintegration durch Schaffung von neuen „Integrationsklammern“ verhindert. Zusätzlich sorgen „Transmissionsriemen“ für die Kräfteübertragung zwischen alten und neuen Strukturen.

Der Begriff „Integration“ (von lat. Integratio, integro = Erneuerung, Wiederherstellung, Vervollständigung) wurde in Europa ausgerechnet von einem Naturwissenschaftler, nämlich Darwin im Zusammenhang mit seiner Evolutionstheorie neben anderen Prozessen (Anpassung, Differenzierung, Selektion u. a.) ins Spiel gebracht und dann vom Soziologen (von Herbert Spencer bis Talcott Parsons) mit großem und Erfolg Interesse auf den sozialen Wandel angewandt.

Der Hintergedanke ist folgendes: gesellschaftliche Wandlungsprozesse gebären ständig neue Strukturen, die man als Differenzierung bezeichnet. (Spezialisierung, Arbeitsteilung, Säkularisierung, Emanzipation des Rechts von der Moral u. a.)  Die Gesellschaft wird ständig mit neunen bis dahin fremden Erscheinungen konfrontiert. Die Entwicklung ist aber mit nebeneinander stehenden Phänomenen nicht vereinbar, denn dies würde einem Zerfall des Systems gleichkommen.  Die Evolution verlangt gleichzeitig „Integrationsklammern“, damit  die neuen Aggregate und  ausdifferenzierten Teile in ein „soziales System“ verschmelzen. Dies geschieht durch Schaffung neuer „gemeinsamer Werte“, welche die vom Zerfall bedrohten Teile wieder zusammenbringen. Das Ergebnis ist eine „Komplexitätssteigerung“ des Systems, welche die zu mehr Anpassungsfähigkeit führt.

Integration wird immer notwendig, wenn ein soziales System mit Desintegration konfrontiert wird und die bisherige Stabilität durch das Aufkommen neuer Strukturen (Differenzierungsprozesse) gefährdet wird. Wenn aber die neuen Strukturen durch Schaffung neuer gemeinsamer Werte in das bisherige System eingebettet werden, bleibt das System nicht nur stabil, sondern gewinnt an mehr Komplexität und Anpassungsfähigkeit.

Kirche und Staat trennten sich in Europa (in einem langen Prozeß) von einander, aber es kam zu keiner „Scheidung“: „gemeinsame Wertvorstellungen“ von einer demokratischen Gesellschaft verbildeten beide erneut unter dem Dach von „Vernunft, Grundrechten und Verfassung“. Die ökologische Bewegung wurde in Deutschland in den 70er Jahren geboren, sie differenzierte sich von Naturwissenschaften und wurde zu einem sozialen und politischen Phänomen. Diese „Bewegung“ wurde aber (nach mühevollen Auseinandersetzungen) in das gesamte soziale System voll integriert.

„Ausdifferenzierung“ und „Herausbildung neuer Strukturen“ gehören zu ständigen Begleitprozessen der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Kunst liegt darin, die ausdifferenzierten Teile nicht auseinander fallen zu lassen, sondern sie als eine Chance für „Komplexitätssteigerung“ und Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft zu sehen und sie neu mit einander zu verbinden.

Hier gibt es aber keinen Automatismus, denn Integrationsprozesse laufen nie parallel und synchron zu Differenzierungsprozessen. In manchen Fällen können sogar die Transmissionsriemen abreißen und einen Zerfall des Systems bewirken. Kein erfahrener Chirurg kann immer das Gelingen einer Organtransplantation garantieren. Der Körper kann möglicherweise die Integration ablehnen und das neue Organ ablehnen..

Konflikte dieser Art sind normale Vorgänge der sozialen Evolution, die nicht gradlinig verläuft und von Rückschlägen und Misserfolgen begleitet ist. Jeder Rückschlag ist aber eine neue Herausforderung, nach neuen Wegen und Lösungsmöglichkeiten zu suchen, um den Bestand und Stabilität der sozialen Ordnung zu gewährleisten.

 

vgl. dazu: Hadi Resasade, Zur Kritik der Modernisierungstheorien, Leske Verlag + Budrich, Opladen 1984,  Kapitel D: Evolutionäre Analyse der transitionalen Gesellschaft, Seite 157-180.

 

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